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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Streifzug durch Asunción
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
15.06.12     A+ | a-
Etwas „aufgeräumter“ als auf dem Land erscheinen solche sich zur Straße öffnenden Läden in Asunción. Viele davon sind in der Hand von Koreanern, diesen geborenen Händlern, die sich lautlos ins Land geschlichen haben und nun nicht weiter auffallen ... Was es in diesem Laden nicht gibt, hat der nächste im Angebot. Es sind viel zu viele  -  und bei allen fragt man sich, wie sie über die Runden kommen, erscheint doch oft stundenlang keine einziger Kunde ...

Von diesen „Kontoren“ der „mayoristas“, der Großhändler für verschiedenen Bedarf, gibt es noch einige in Asunción.
Dieses ist mein Lieblingskontor in der Ecke einer großen Lagerhalle, in der ständig Betrieb ist. Der Verkäufer muss wieder mal nach dem rechten schauen. Auf dem Baumstumpf halte ich es nicht lange aus und steige eine windige Treppe hoch zur Lederwerkstatt. Das lohnt sich schon wegen des angenehmen Kuhstallgeruchs, aber auch, um die Lederkünstler in ihrem Chaos und doch bei höchst professioneller Arbeit zu erleben.
Ich habe Ipad – Lederhüllen in Auftrag gegeben.

„Hier  -  soll ich für deine Enkeltochter dieses Blumenmuster reintackern?“ „Ja, mach´ mal.“
„Hab´ ich in fünf Minuten fertig.“  So war es, die schon vorbereitete iPad-Tasche hatte ihr Muster weg auf dem hellen Braun des dicken weichen Leders.Die iPad-Hüllen für Männer kriegen Ornamente.

„La Riojana“, das Stoff- und Textiliengeschäft, gab es schon in den 70ern  -  und noch lange davor, da ist alles altmodisch. Ich kaufe Hosenstoff, das Auswählen und das Zuschneiden mit den akkuraten Handgriffen des Verkäufers zu erleben ist wie eine Szene aus einem alten Film. Und der „pantalonero“, der Hosenmacher, der den Stoff in eine fein genähte Hose verwandelt hat, ist einer der Darsteller. Die Hose passt prima und ist wunderbar leicht  -  ideal für  den „tropischen deutschen Sommer“ .....
Das ist eine gefährliche Familie. Woher ich das weiß? „Die wohnen doch da oben an den alten Bahngleisen im Dreck, die drehen alle irgendwelche krummen Sachen, bleib´ ja da weg!“, weiß mein Vermieter, der sich auskennt, er wohnt ja schon 36 Jahre hier. Ich muss heimlich zu der sympathischen Familie an den Gleisen, weil er das nicht will, er hat Angst, ich „ziehe die an“, seine Pension ist nur ein paar Schritte entfernt. Und dann klauen die ihm alles weg, ist doch klar!  Am Samstag Nachmittag wollte ich im Hafen Caacupemi unseren Container wenigstens mal zu Gesicht  bekommen, der Hafenbetrieb hatte allerdings Pause.
Bei der Rückfahrt landete ich in einem kleinen Elendsgebiet am Fluss. Cynthia, 21, Mutter eines Vierjährigen und kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes, führt mich am Ufer entlang und erzählt mit weicher, schöner Stimme von sich und ihrem Leben. Wie sich die Geschichten gleichen: Erster Mann weg, der zweite ohne Arbeit und „unterwegs“, sie lebt die letzte Woche vor der Geburt in der Hütte einer Freundin, „....da ist es besser als bei mir.“ Das kann ich mir gut vorstellen, als ich die sauber gewaschene Babywäsche sehe.
Sie wird ihr Baby im „Hospital 4“ an der Av. Artigas zur Welt bringen, ganz in meiner Nähe. Sie möchte, dass ich sie da besuche. Am 09. Juni soll das Kind kommen. Als sie hört, dass ich am 07. Juni fliege, ist sie traurig. Das rührt mich, den für sie aus dem Nichts aufgetauchten Fremden. Ich soll sie aber vor der Geburt mal anrufen, das würde sie freuen.
Ich will ihr etwas Geld für ihre Führung durch ihr Viertel und am Fluss entlang geben, das sie aber bestimmt ablehnt, für ihr Baby aber nimmt sie etwas an.
Kurz darauf sitze ich an der Essensbar eines gern  besuchten Restaurants des Zentrums, mir gegenüber fröhliche junge Frauen, offenbar gut situiert und mindestens aus der gehobenen Mittelschicht  -  das zeigt ihr Outfit und die Lässigkeit, mit der sie ihr wohl ausgesuchtes Essen bestellen. Was sie dafür zahlen, das hätte eine Cynthia wohl gern in der Woche
(ihr Handy hatte nicht mal  „saldo“).
Was ich zahle und, sagen wir, pro Tag ausgebe, würde für die junge Frau am Fluss wahrscheinlich für einen Monat reichen. Zwei Welten, wenige Kilometer auseinander. Der Mann da ist praktisch, der leichte Regen hatte ihn nicht an seiner beidhändigen Zeitungslektüre gehindert. Vorm Haus der „Vereinigung der Importeure“  -  was mögen das wohl für Halunken sein  -  verkauft er gut zubereitetes kaltes Essen, ich sehe mehrere bei ihm anstehen und ihre  Ration wie eine Beute davon tragen, wohl eher aber Kleinimporteure........
In dieser Stadt finden viele ihre Nische  -  wie hier sowohl unterm Schirm im Schutz eines Gebäudes als auch mit ihrem besonderen Angebot.

Die beiden haben auch ihre Nische.....
Noch so zwei, die sich gefunden haben und etwas tun, was man in Paraguay sehr selten sieht, erst recht nicht öffentlich:
L E S E N!   Kein Wunder, dass die Höchstauflage bei Büchern nicht mal schlappe Tausend beträgt, wovon zudem die Hälfte an Familie und Freunde geht.
Die beiden sitzen auf den Stufen des „Panteón de los Héroes“, wo die Helden der Nation vor sich hin stauben. Wenn man von deren Taten hört, kann man sich nicht vorstellen, dass diese von ernsthafter Lektüre inspiriert waren  -  allenfalls von Bibel und/oder Schlachtenepen.

Was gefällt daran so? Alte, dunkle Fassade eines 19. Jh. – Hauses und Natur, die sich durchsetzt, leichte Farbtöne noch dazu und der fortschreitende Verfall, den man sozusagen gewähren lässt (vor 35 Jahren, so erinnere ich mich, war dieses Hotel schon geschlossen, die Türen mit Brettern vernagelt.) Aber auch eine „moderne Ruine“ kann noch was zu bieten haben, wie das ehemalige „sindicato“- Gebäude der Hafenarbeiter und –angestellten, wo ich mein blau-grünes Wunder erlebe.

Und die Dreifarbenecke, die erst nach der Zerstörung zu sehen ist.

Im Hafengebäude geht es weiter mit blau  -   bestimmt hatte es mal einen Riesenposten dieser Farbe gegeben und die Hafenverwaltung hatte drauflos streichen lassen. Ein Arbeiter  muss künstlerisch inspiriert gewesen sein und hat die Betonwand ausgespart.

Es wird schon ab 17 Uhr dunkel, die Lichter der Hauptstadt sind schummrig, man kann Schwarzweißbilder auch ohne s/w Film machen  -  fast.

Das „Zentrum“ ist ausgestorben, fahles Licht, Schatten, alle Farben gehen ausruhen bis zum nächsten Tag.
Asunción ist wie ein Friedhof. Aber morgen geht´ s weiter.....

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