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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Der „Bicentenario“ wirft seine blau-rot-weißen Schatten voraus
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
03.06.11     A+ | a-
So viel Anmut sieht man selten bei den jetzt verstärkt in Gang kommenden Aktonen zum „Zweihundertsten“ seit der Ausrufung der nationalen Souveränität im Jahre 1811.
Seit nicht mal 20 Jahren ist die Befreiung der paraguayischen Frauen ein Thema, das an den Männern komplett vorbei rauscht.
Das Wort „patriotismo“, ohnehin ständig im Schwange, hat jetzt absolute Hochkonjunktur, sein sichtbarer Ausdruck sind die blau-weiß-roten Flaggen, die noch über die elendeste der Hütten flattern, vor allem aber die gleichfarbigen Stoffbahnen aller Größen und Längen, mit denen sämtliche Gebäude, deren Bewohner auf sich halten (und für patriotisch gehalten werden wollen), verpackt, umwickelt, nicht selten geradezu erstickt werden.
Das Motto scheint zu lauten: Quadratzahl des verwendeten Stoffes = Indikator des Patriotismus, anders lässt sich diese wahre Verwandlungs- bzw. Verschandelungsorgie (jetzt kommt der „alemán“ ins Spiel) nicht erklären ........
Oder was ist es sonst, was beispielsweise mit dem „Palacio de Gobierno“ gemacht wird?
Ich zeige euch mal eine Hälfte der Torte:
Trumpf ist hier die Länge der Stoffbahnen, die den Palast, über dessen architektonischen Reiz man ohnehin streiten kann, gleichsam als Geschenk verpacken.
Der Eingang ähnelt einer blau-weiß-roten Autowaschstraße - und sind die Stoffbahnen vielleicht eine Notrutsche für den Präsidenten bei Feuer? Oder das Ganze vielleicht nur eine Offensive zugunsten der heimischen Textilindustrie? Doch Ironie und Satire verfangen in Paraguay bekanntlich nicht - und ich würde mir schwer überlegen, wem ich meine Palastassoziationen mitteile.
Ich bin beruhigt, wenn ich die Leserbriefe der beiden großen Zeitungen lese: Immer mehr Paraguayer sind der nationalen Besoffenheit überdrüssig und machen ihrem Herzen Luft. Sie fordern Selbstkritik statt Selbstbeweihräucherung, eine differenziertere Betrachtung der eigenen Geschichte und Taten statt beschworener Heldentaten.
Nur der Regenschirm ist in den Nationalfarben - ein erster Schritt bei der Jugend .......
Militärparade mit Regen bestraft - und der Marsch der Menschenrechtler?
Ich wusste nicht so recht, ob ich es bedauern oder eher gut finden sollte, dass die Militärparade zum „Bicentenario“ doch sicher ausfallen würde, so wie der Himmel über der Pension Schrammen am Morgen des 15. Mai sich zeigte.
Oder?
Für 10 Uhr auf der zentralen „Avenida Carlos Antonio López“ angesetzt, prasselte das Unwetter wie bestellt - je nach Einstellung - pünktlich um 8 Uhr auf die Hundertschaften von Soldaten, auf Panzer und Lastwagen und bereits aufgestellte Tribünen herab - so massiv, dass es einem schon fast wieder leid tun konnte. Aber erstens ist so ein Wetter etwas ganz Normales in Paraguay, und zum anderen war es der glühende Wunsch der Militärs, sich und das Ergebnis ihrer  monatelangen Vorbereitungen zu präsentieren - und wenn es auch nur die gewienerten olivgrünen Fahrzeuglacke waren - nicht zu unterschätzen.
Auch die zu Tausenden herbei geströmten paradelustigen Bewohner der Hauptstadt durften nicht - und wollten nicht - enttäuscht werden. Also Durchhalteparolen ausgegeben, die Militärmützen plastifiziert und die Guerillabekämpfer ab unter das Haltestellendach, auf Tuchfühlung mit der Bevölkerung. Das sah dann so aus: Da brauchte sich niemand zu fürchten - eher schien Ute sich durch die vorbei knallenden Stiefel belästigt zu fühlen (beim Selber-Stiefelanziehen). Das Unwetter hatte nachgelassen, aber überall hatten sich Seen gebildet. Man kann nicht sagen, der Kempener Regenschirm sei nicht aufgefallen: Absichtsgemäß erfüllte er seinen Zweck als Gesprächsanlass, mit der blonden Ute darunter erst recht.
Wir waren aber eigentlich für die am gleichen Tag und am gleichen Ort um 8 Uhr angesetzten Demonstration unserer richtigen Freunde gekommen (das kann man vom Militär nun wahrlich nicht sagen):
Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen hatten nämlich eingeladen - als Kontrast. Diese Gegenkundgebung war nicht angemeldet und fand durch den starken Regen außerdem fast zeitgleich mit der Parade statt. Mehrfach sollten wir abgedrängt werden, an jeder Kreuzung aufs neue, aber wir marschierten stur weiter, die eigenen Megafonappelle und der Applaus vieler Zuschauer, die sic schon ihren Platz für die Parade gesichert hatten, machten uns Mut.
Da war auch Virgilio Barreiro, der Ute mit dem klassischen Wangenkuss begrüßt. Stroessner ließ ihn 25 Jahre in düsteren Kerkern und Erdlöchern schmoren, ohne ihn zum Verstummen zu bringen. Er ist der Mann, der unter kaum vorstellbaren Bedingungen seiner Tochter zum 15. Geburtstag eine aus einem Knochen selbst gefertigte Harfe zukommen lassen konnte. Aus dem Gefängnis heraus!
Polizei und Militär verhielten sich klug - Deeskalation scheint inzwischen auch in Paraguay kein Fremdwort mehr zu sein - und so löste sich am Ende alles friedlich auf. Unter den Plakaten mit den Fotos von Ermordeten der Stroessnerdiktatur suchten wir Zuflucht vor dem Regen....
Währenddessen war alles bereit für die endlose Militärparade mit Tausenden von Soldaten (auch aus Nachbarländen) in den Uniformen aller Abteilungen, mit Unmengen an Fahrzeugen und über allem donnernden Flugzeugen - schaurig-schön!
Wir mussten an die Parade am gleichen Ort vor genau 38 Jahren denken, die wir mit den Kindern besucht hatten. Mitsamt den prügelnden „Bullen“ Stroessners und dem unerträglichen Bild der mit zwei Diktatoren besetzten Limousine, die an uns vorbei fuhr.
Die schamlosen Bilder der sich zur Schau stellenden Militärs - allen voran Pinochet und Stroessner in vollem Wichs - wurden nur noch übertroffen durch einen in diesem Gespensterzug mit defilierenden, Fähnchen schwingenden Bischof. Der gab gleichsam im Namen der katholischen Kirche dem Verbrechersystem seinen Segen.
Er war auch noch fett, das unterstrich die Obszönität dieses Anblicks. Doch auch wir machten keine gute Figur beim „Familiensonntagparadeausflug“ ... Eine bessere Figur machten die Polizistinnen - seien wir also gnädig mit der Parade, verderben wir den Paraguayern nicht die Freude an ihren eh schrumpfenden Streitkräften.
Ihr Verhältnis zum Militär ist ohnehin ein anderes, allerdings begreifen wir auch nicht, wie sie den Spagat hinbekommen zwischen den Tätern des Militärregimes und den „neuen demokratischen Streitkräften“ .... Der Knabe sieht doch auch trotz Tarnfarbe recht zivil aus - und ein bisschen germanisch.....
Am folgenden Tag opulente Bilder der Militärparade in den Zeitungen - vom Marsch der Opfer der Militärregierung freilich kein Bild, keine Zeile!
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