Nach vielen Vor-Festen und Vor-Veranstaltungen verschiedenster Art, nach emsigem Herausputzen und Schmücken der Hauptstadt, u. a. mit Hunderten Kilometern Stoff in den Farben der Nationalfahne (man fragt sich bang, was die hinterher damit machen), ist nun der wichtigste Tag der Zweihundertjahrfeier gekommen - der 15. Mai!
Präsident Lugo hatte den 14. Mai bereits zum Nationalen Feiertag erklärt und legte jetzt noch einen drauf: Der Montag wurde per Dekret dran gehängt. Eine Stadt im Feierrausch, mit kaum gekannten Massen an Besuchern, was in Py immer noch relativ zu werten ist.
Gestern Abend erlebten wir die „Vorstimmung“ im Zentrum.
So viele Feierlustige und interessierte Besucher (sogar ein paar deutsche Gesichter) hatten wir nie gesehen. Eine heiter - entspannte Stimmung wie selten, vor allem Familien mit Kindern waren unterwegs, aber auch auffallend viele Jugendliche in Gruppen wie hier die fünf Schönen, die sich - einmal in Pose - gern von mir „mitfotografieren ließen.... Der Pantheon wurde abwechselnd blau-weiß-rot beleuchtet, die letzten Verkäufer versuchten noch ihre indianischen Masken los zu werden. Die „echten Indianer“ blieben zumeist im Hintergrund ........
Ich war noch einmal tief eingetaucht in das paraguayische Landleben, diese so ganz andere Welt neben der Hauptstadt, die einen kirre macht - erst recht in Zeiten des „Bicentenario“, wo alles aus der Geschichte der letzten 200 Jahre ohne jeden kritischen Ansatz auf Hochglanz poliert, in seliger Selbstbeweihräucherung besungen, bedichtet und betanzt wird. Grausam. Begegnungen mit der Landbevölkerung wie hier mit dem kleinen Jungen aus dem Imbiss oder mit Mutter, Tochter und Kind im Kramladen gehören dazu und das Erlebnis de Natur.
Ein kleines Abenteuer war die Fahrt auf abseits gelegenen Wegen zum Ypoá-See, der nur wenig bekannt ist. Bei den Einheimischen ist er gefürchtet und mit zahlreichen Schauergeschichten befrachtet. Unterwasserwesen ziehen Boote in die Tiefe, eine Insel verändert auf geheimnisvolle Weise ständig ihre Position - und ein riesengroßer gefährlicher Fisch lauert, ungeheuer gefräßig.
Aber hier reicht schon die Realität, wie diese wahre Begebenheit mit der Riesenanakonda zeigt.
Wer sich´s anschauen mag ....
Gustavo, ein furchtloser Mensch, den ich einfach angesprochen hatte, war mein Begleiter. Wir schafften es nicht ganz bis zum Seeufer, ein Estanciabesitzer gibt den Weg einfach nicht frei, aber bis auf den Berg vor dem See zu gelangen, war wunderschön.
Riesenglück:
Die Landwirtschaftspartner von der CCDA hatten uns einen erst drei Jahre alten Nissan – Geländewagen für die Restzeit überlassen - ihr glaubt gar nicht, was das hier bedeutet, selbst durch ein so harmloses, Wasserloch kommt man mit einem normalen Fahrzeug nicht durch. Den für paraguayische Verhältnisse riesige See liegt abseits befahrbarer Straßenverbindungen, und nur mit Gustavo, der mir unterwegs das verlassene Häuschen zeigt, wo er früher gewohnt hat, traue ich mich an die Bewältigung der 35 km langen Strecke (riesig!) , die eher einem Pfad gleicht, bei dem man nie genau weiß, ob und wie er weiter geht. Und ob man notfalls wenden kann - erst recht mit dem superlangen Nissan. Im „Museo de las Memorias“, dem Ort der Aufbereitung der Stroessnerdiktatur, findet ein Seminar für paraguayische Lehrer zum Thema „Den Schrecken unterrichten“ statt, wir beide sind eingeladen, Beiträge zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Schulen und Gesellschaft zu bringen. Wir haben schon kräftigen Bammel und recherchieren eifrig im Internet bzw. im eigenen Gehirn, Abt. Erinnerungen aus der jüngsten Geschichte.
Nach dem Seminar findet die Übergabe und Ehrung Martín Almadas durch die Stadt Kempen und das Gymnasium Thomaeum statt - durchaus ein passender Ort, denn A. war ja nichts anderes als ein leidenschaftlicher Lehrer, der er bis heute geblieben ist.
Für das Regime ein „intellektuelle Terrorist“ ....
Jetzt will ich mich mit dem Aufzählen bremsen, habe das Ohr auch gerade an Deutschland,wo ihr ja so eine Art Hitzewelle erlebt, ein erstaunlich früher „Sommereinbruch“. Ansonsten ist unsere deutsche Politik ziemlich weit weg, und weder Maischberger noch der Harte aber Faire reißen uns von dem speckigen, von diversen studentischen Pensionsgästen durchgesessenen Sofa. Hier kriegt man ja die „Deutsche Welle“. Von hier aus scheint noch unfassbarer, wie ein durchgeknallter Gadaffi immer noch sein eigenes Volk massakrieren kann. Bin Laden tot geschossen, der große Playboy Sachs tot von eigener Hand - beides hat, aus jeweils unterschiedlicher Sicht, etwas Erschreckendes und gleichzeitig Tröstendes. Hier ist jetzt nun doch so richtiger Herbst, mit angenehmen nächtlichen Temperaturen,immer noch üppig grünen Bäumen durch die vielen Niederschläge der letzten Zeit. Die Dengue-Epidemie ist nicht ausgestanden, der Besuch im Hospital hat uns das deutlich gezeigt.
Dr. Cano und Personal machen Überstunden, Kinder und Jugendliche unter Mosquitonetzen, manche wimmernd, das relativiert einerseits unsere Angst, mahnt aber zu weiterer Wachsamkeit.Man wird alt - dieser ebenso banal richtige wie blöde Spruch entfleuchte häufiger als sonst auch meinem Munde, und in der Tat ist vieles mühsamer geworden, die regelmäßigen Reisen nach Paraguay sind ja auch wie ein Zeitraffer, der jeweils den Stand der Fitness erleben lässt. Umso dankbarer bin ich für diese Fahrt aufs Land, wo mir das Herz aufgeht, wenn auch die Knie schlottern.Wunderbare Menschen! Ihre Freundlichkeit macht einen richtig froh, so selbstverständlich, so arglos und ohne Ansehen der Person. Natürlich gibt es auch andere, aber auf die geht man doch gar nicht erst zu.....
Vom Ausflug mit dem pädagogischen Personal des Kinderhortes:
Nach drei ungemütlichen Tagen mit Kälte, Regen und einem heftigen Unwetter,das uns auf den letzten Metern der Rückfahrt von einem Ausflug mit dem Kinderhortpersonal erwischte, rufen wir jetzt die gerade noch verrufene Sonne an, die auch allmählich unserem Drängen nachgibt.Die Sonne - der Poncho des Paraguayers: Bei derzeitiger Wetterlage ist die Redewendung sehr treffend, meist aber ist die Sonne eine durchaus unangenehme Bekleidung.
Der Ausflug mit den fünf ErzieherInnen Daily, Gloria, Miriam, Gustavo und Sebastian, mit Hortleiterin Elisabeth und Oscar Mongelós war richtig beglückend. Wir hatten den letzten Tag der Schönwetterperiode getroffen und ein Programm nahe der Hauptstadt gewählt, San Bernadino, Altos, der Lago Ypacaraí, das Städtchen Areguá. Man könnte fragen, warum wir als Ausländer ein Ausflugsprogramm zusammen stellen - wäre das bei den Einheimischen nicht in besseren Händen? Die Antwort ist einfach, verblüfft uns aber immer wieder: Fast niemand kennt sich auch nur einigermaßen in der Geografie seines Landes aus, selbst die oben genannten Ziele, nur ca. 50 km von Asunción entfernt, sind den meisten nur vom Namen her bekannt. Ein weiterer Glücksfall war die Teilnahme des 82jährigen Freundes Oscar, der den Hort kennt und bei einigen Arbeiten geholfen hat. Bei den Frauen hat er schon lange ein Stein im Brett, er ist galant und hat für jede schmeichelnde Worte, manche blumenreich, ein wahrer Meister des „piropo“, des Kompliments an die Frau, das auch bisweilen deutlich bis deftig ausfallen darf. Wenn ich sie laut lachen hörte,wusste ich, dass Oscar wieder einen Treffer gelandet hatte. In Altos, dem kleinen Städtchen über dem Ypacaraí-See, war in der deutschen Schule gerade Pause, wir erlebten die Schüler in ihren deutschlandfarbenen Schuluniformen, manche ließen sich auch zu einem kleinen Sätzchen auf deutsch hinreißen - und man merkte, dass hier wohl nur noch die Farben schwarz-rot-gold übrig bleiben würden. Und die werden auch bald verblassen - gut so, wir sind in Paraguay. Auch im deutschen Verein eher Halbmast-Stimmung, die bayrische Wandmalerei verblasst, der Chef, ehemals strammer Deutschnationaler, verliert mit seinen Zähnen auch den Biss und - vielleicht nicht schlecht - die deutliche Aussprache, die Feiern zur Sonnenwende haben sich überlebt, sind nicht einmal mehr Folklore.
Weiter auf deutschen Spuren ging es im von der Familie Weiler gebauten „Hotel del Lago“ in San Bernardino, wo wir mal alles Nazi- und Mengelemäßige weg lassen, den Antisemiten Bernhard Förster und sein germanisches Arierexperiment überspringen und uns nur gemütlich auf die wunderbar restaurierte Terrasse mit Gartenblick setzen, richtig guten Kaffee trinken und dazu wohl was essen?? Berliner Ballen! Eines der eher sympathischen Relikte aus der deutschen Besiedlung von San Bernardino, nur leicht verfremdet, weil statt der Marmelade „Dulce de Goyaba“ enthaltend. Der Ypacaraí-See hatte seine maximale Tiefe von stattlichen drei Metern, da von „Überquerung“ zu reden, ist leicht übertrieben. Wenn wir, am gegenüber liegenden Ufer angekommen, auf ihn zurück schauen, gibt er ein schönes Bild ab, das seine totale Verseuchung beinahe vergessen lässt. In Areguá ging es mit dem Mittagessen im kleinen „Hotel Tucan“ deutsch weiter: Schweinefleisch, Kartoffeln mit reichlich Soße, Erbsen – und Möhrengemüse. Zubereitet von der Einwandererwirtin aus Dortmund, mit Kommentaren aus Ruhrpottplatt serviert. Alle waren begeistert.
Ohne dass es uns bewusst geworden war, hatten wir mit unserem Ausflug ein „deutsches Programm“ angeboten.Der nahe Berg mit seinen angeblich weltweit nur wenige Male vorkommenden Gesteinsformationen bot trotz des massiven Raubbaus an den gleichmäßig und vieleckig geformten brauntönigen „Stäben“ schön anzuschauende Reliefmuster. (Areguás Straßen sind damit gepflastert).Aber auch eine intensive Begleitung durch Mücken wurde geboten - wir hatten genau den Zeitpunkt ihrer spätnachmittäglichen Angriffswellen getroffen.
Ute flüchtete fluchend. Und fluchte flüchtend weiter, bei jedem Stich.
Heiterer Ausklang per Bus zurück nach ASU und mitten hinein in das furiose Unwetter.