47906 Kempen - Terwelpstraße 10
Fon +49 (0) 2152 - 22 57

1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Erst mal hin kommen
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
10.09.10     A+ | a-
Dass ich noch einmal, um 200 Euro zu sparen, auf so umständliche Weise nach Paraguay reisen würde wie in diesem Jahr, glaube ich nicht:
Zunächst per Auto von Kempen nach Düsseldorf, dann die Zugfahrt nach  Frankfurt, braves Warten auf den Vorabend – Checkin  -  eher ein „Vorahnungs-Checkin“ („...mit dem Gepäck in Lissabon ist es immer etwas kritisch....“, wurde ich fürsorglich gewarnt)  -  die Nacht ..... u.s.(umständlich)w. fort  -   mit der portugiesischen TAP, dann die mit der brasilianischen TAM  ...
Ob der zweite (natürlich wichtigere) Koffer aus den für allerlei Schandtaten berühmten Gepäckkellern des Asuncioner Flughafen auftauchen würde....“No!“
Eine halbe Stunde Gepäckverlustaufnahme mit einer lustlosen, übermüdeten Fehlbesetzung Marke Volksarmeeoffizierin  -  einziger Vorteil war, dass die Zollbeamten nicht mehr auf den säumigen Passagier warten wollten und ich mit dem anderen Gepäck kurz vor Mitternacht ungefilzt raus kam...
Am nächsten Tag erfuhr ich immerhin, dass der Koffer (mit 30 Fotos 50 X 75!) in Lissabon weilte. 5 Tag später durfte ich ihn dann abholen.
Erster Eindruck  --  wie immer: Noch nie fand ich Paraguay so potthässlich !!!
Diesmal nicht wegen Regen und Kälte, sondern wegen eines im Wortsinne trüben Panoramas: 2 Monate kein Regen, aber dann auch noch Feuerchen machen überall, das können sie, 800 Brandherde im ganzen Land, eine künstliche Dauerbewölkung aus Rauch, der  Hals und Lunge in den Würgegriff nimmt, dazu die vergammelte Stadt und eine umgebende Natur, die  diesen Namen kaum verdient, wo doch alles wirkte wie ein schmutziger Herbst, mit selten kahlen Bäumen, denen der Frost (ja! In Paraguay!) den Rest gegeben hatte: Subtropen? Gut und schön  -  aber so was von suboptimal!!
Alles grau in grau  -  mit einem Wort: Grauenhaft!

Genug geschimpft, das legt sich wieder.....

Aber da ist ja auch noch Juliane, „unsere“ tüchtige Praktikantin, deren Tage in Paraguay gezählt sind, die sie aber trotzdem oder gerade deshalb nutzen will, um noch „etwas vom Land zu sehen“.
Dazu hatte sie nämlich kaum Gelegenheit neben ihrer Arbeit mit Frauen in den Bañados, den Elendsvierteln am Fluss. Zuletzt war sie wohl eine Woche im Chaco, „in unserem Auftrag“ gewissermaßen, hat die Reise genossen: Wir wollten gern ihre Informationen und Eindrücke vom Taubstummeninternat im Mennonitenzentrum  Filadelfia haben, wo unser taubstummes „Patenkind“ Maria Josefina seit einigen Monaten untergebracht ist. Die Reisegruppe aus 2009 hatte sich beim Besuch der Bañados sehr für das Mädchen eingesetzt, das sich bei der rührigen Frau Dück im „Lichtstrahl“ – Heim im Chaco sehr wohl fühlt und schon das Taubstummenalphabet gelernt hat.

Wie schon in ihren Berichten an uns schriftlich, so erzählte Juliane davon auch mündlich ebenso lebendig und mit Händen und Armen weit ausgreifend.

Der „Suzu“ (Suzuki Vitara), wie Ada von unserer Partner - NGO immer sagt, ist für sein Alter recht gut in Schuss, bestimmt können sie ihn gut verkaufen, ich habe schon mal angedeutet, dass wir vom Verkaufserlös mindestens die Hälfte unseres Einsatzes, also 500 Euro, zurück haben wollen.
Ich brauchte ihn aber für die erste Unternehmung gar nicht, wir fuhren nach Juan de Mena mit dem Landwirtschaftsfachmann Alberoni von CCDA, dem „Zuckerbeauftragten“, der ein Ersatzteil für die Fabrik hin bringen wollte. Natürlich sollte ich auch (und wollte auch) so schnell wie möglich die Produktion erleben, die zur Zeit rund um die Uhr läuft.

Jetzt ein bisschen vom Zucker

Ein selten heißer und vor allem schwüler Tag, der aber beim Anblick und Begutachten der laut röhrenden Fabrik seinen Schrecken verlor, so beeindruckt waren wir, dazu kam bei mir eine gewisse Rührung auf und meine Portion Genugtuung am Gelingen des Projektes, auch alle Beteiligten ihrerseits zeigten deutlich ihren Stolz..

Das wurde mir so klar wie selten: Dieses Projekt war und ist auch eine Riesen -veranstaltung zur Schaffung von Selbstbewusstsein und Stolz auf die eigene Leistung! Mit zähem Kampf haben einfachste Campesinos erreicht,
heute ein würdigeres Leben führen zu können.
Den Zucker kann man noch darüber streuen...
Jahrzehntelang ausgebeutet und Diener fremder Herren, haben sie jetzt ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. Sie müssen ihr Zuckerrohr nicht mehr zu Spottpreisen verscherbeln, sondern verarbeiten es jetzt selber zu organischen Zucker.

Und der ist nicht nur braun und wertbelassen, sondern vor allem aus organischem, ökologisch produziertem Rohstoff, in diesem Fall Rohrstoff.
Das Zuckerrohr, welches während unserer Besichtigung in Ochsenkarren beständig angefahren und abgeladen wurde, hat eine exzellente Qualität.
Vom „Tisch“ durch zwei Arbeiter in die Presse gegeben, verwandelt sich der Zuckerrohrsaft in teils grobkörnigen (preiswerte zweite Wahl), vor allem aber richtig schönen, leckeren und in eigenen Säcken und Packungen gelagerten „Azuká Regina Marecos“.
Die Produktnamenschöpfer haben aus dem spanischen azucar ein Guaraníwort fabriziert  -  eben azúka.
Alle an ihrem Posten, ca. 20 Personen beim Betrieb in der Fabrik, auch Frauen, z. B. die in der Kühlkammer (die wir bei 35 Grad draußen gern immer wieder aufsuchten).
Ich fand den fast heiligen Ernst und die Sorgfalt, mit der die Leute ihre Arbeit verrichteten  -  unterstrichen durch eine für sie ganz ungewohnte Arbeitskleidung  -  beeindruckend und irgendwie anrührend.
Natürlich kamen auch die an allen erdenklichen Stellen auftauchenden Probleme nicht zu kurz, geballt dann bei der Besprechung im Büro der CCDA in Asunción. Man kann eigentlich sagen, dass nur ein ständiges Ausräumen von Problemen die Freiräume schafft, in denen normales Arbeiten überhaupt möglich ist  -  bis zum nächsten, oft nicht erwarteten Hindernis.
Der Schritt vom Tagelöhner und Subsistenz-Kleinbauern zum Produzenten und „Unternehmer“ (wenn auch in einer Kooperative) ist so gewaltig, dass wir uns das kaum noch vorstellen können.
Trotzdem ungebrochene Zuversicht. Und schließlich wird der Sack Zucker, den ich „auf Schau“ eigenhändig auf den kleinen Lastwagen geladen habe, zusammen mit den gut 50 anderen aus der Tagesproduktion ja auch tatsächlich verkauft.
Gleichwohl wird die Suche nach verlässlichen Abnehmern weiter getrieben, auch an eine Ausweitung der Produktion ist schon gedacht, das von ingeniero Escobar erdachte Modul-System macht es möglich, die Investitionskosten müssen aber selber erwirtschaftet werden, was nicht vor Rückzahlung des „operativen Kredits“ von ca. 15.000 Euro in einem halben Jahr geht.
Und sogar der Gedanke einer Ausfuhr nach Europa (am liebsten Deutschland) zur Belieferung des Fairen Handels bleibt weiterhin konkrete Utopie.......

Dauermüdigkeit hat mich befallen, ich denke daran, mir im Kräuterparadies Paraguay solche zum Schlafen zu besorgen, dieses Mal vielleicht nur eine Sorte statt wie vor Jahren drei, die gemeinsam aufgebrüht und getrunken mich in lang anhaltende Trance versetzten.

In den Süden nach Pilar

Am Mittwoch ging es dann schon nach Pilar. Das Auto läuft so überraschend gut, dass ich beschließe, die 350 km unter die eigenen Räder zu nehmen. Praktikantin Juliane freut sich, da sie auf diese Weise sich unterwegs einiges anschauen kann. Unbedingtes Muss ist die wunderschöne Franziskanerkirche von Yaguaron, der leider vergammelte, aber historische Bahnhof von Paraguari, das Museum mit den Kunstwerken der Guaraní – Indianern in San Ignacio.
Ich bin also weder mal Reiseführer, das macht mir mit dieser so sehr interessierten Teilnehmerin aber Freude.
Wir haben Glück mit den Polizeikontrollen, werden verschont. Das ist gut, denn es ist  nichts vorhanden an Papieren außer den eigenen Unterlagen (Pass und internationaler Führerschein)! Der Wagen hat weder die Steuerplakette von 2010 noch das „grüne Papier“, das unserem Kfz-Brief entspricht und im Rekordautodiebstahlland Paraguay das allerwichtigste ist. Ebenso wenig hat Ada mir die Autorisierung zur Nutzung des Autos gemacht. Ich ärgere mich.
Jedes einzelne der drei fehlenden Requisiten wäre ein Schmiergeld „wert“ (für die Polente)  -  alle drei zusammen müssten eigentlich die Konfiszierung des Fahrzeuges zur Folge haben.  Später in Pilar dann: Ersatz- und Verlustschreiben beantragen. Ein halber Tag  -  und ein halber Roman ....

Gleich an der Einfahrt nach Pilar kam uns Santiagos Sohn Gustavo mit einem zwar malerisch ramponierten, aber sauber glänzenden und fahrbereiten UNIMOG entgegen, Gustavo machte gerade eine der letzten Probefahrten, dann soll die Wunderkiste ja verkauft werden, der Interessent, der Palmstämme (als Elektromasten) damit transportieren will, bietet 20.000.000 Guaraníes, Santiago will aber eine 25 vor den sechs Nullen.
4.200 Euro  -  viel Holz für viel Schrott? Können wir nicht beurteilen.
Auf jeden Fall will Santiago uns über die Verwendung des Erlöses informieren, 5 Mio in die dringende Reparatur eines Fahrzeugs stecken, den Rest als seinen Beitrag in die zu bauende Werkstatt in MEDINA (u. a. das Gelände einzäunen).
Gustavo fällt der Abschied von seinem UNIMOG sehr schwer, er hat sich mit seinem alten Freund zum letzten Mal so gründlich auseinander gesetzt wie beim ersten Mal, in seinen Innereien gewühlt, als wolle er noch einmal genau wissen, wovon er sich da trennt.

Auch ich habe meine letzte Fahrt gemacht, auf der roten Bierkiste als Fahrersitz.
Und abends haben wir die alten Geschichten und Fahrten aufleben lassen  -  dazu könnte man ein ganzes Buch schreiben. Was hat dieses Fahrzeug nicht alles erlebt und geleistet!

Wie bekannt läuft die Nähwerkstatt unserer Partner zur Zeit schlecht, oft kommt bei Brizuelas  mittags auf den Tisch, was man gerade noch so auftreiben kann. Und dann kommen immer noch welche dazu, abgewiesen hat man in diesem Haus ja noch niemanden.

Dazu fällt mir ein

Am Beispiel Santiago kann man recht gut deutlich machen, wie die Partner, welche ja die Entwicklungsprojekte leiten, selber oft zu  kurz kommen.
Man erwartet von ihnen gern  -  sind sie doch Kinder ihrer armen Länder und sehen ihre Bevölkerung leiden  -  dass sie sich selbstverständlich abarbeiten und nicht zu sehr an ihre eigene „Entwicklung“ denken sollten.
Aber auch sie haben ein Haus mit Unkosten, brauchen Essen und Kleidung und für ihre Kinder eine vernünftige Ausbildung u.s.w.....
Man muss nur einmal mit Santiago einen Tag über die unfreiwilligen Rallyestraßen seines Arbeitsgebietes von NRW-Format „gefahren“ sein und nur den ungeheuren Verschleiß der Fahrzeuge erlebt haben, ganz zu schweigen von der großen Erschöpfung, dann weiß man, dass die Partner eigentlich viel mehr für ihre Arbeit bekommen müssten. Insofern sind auch wir in gewissem Maße Ausbeuter.
Aber „die Spenden sollen ja zu 100% bei den Armen ankommen!“  -  was für eine Verkürzung! Und wer arbeitet mit den Armen? Für oft armselige Vergütung?! Der Wagen ist natürlich eine Schenkung  -  aus Italien.

Zur  Schule, die eigentlich den Namen eines großzügigen Spenders tragen müsste, was der aber partout nicht will

Und dann ging es wieder einmal nach MEDINA zur gleichnamigen Primarschule, die schon von weitem einen auffälligen Anblick bietet und beim Näherkommen immer schöner wird, was in Paraguay sonst eher umgekehrt ist.
Wir werden  auf eigene Bitten hin  nur mit einem Kurzprogramm begrüßt -  so kurz, dass ich den einzigen Tanz verpasse und dieser auf meine Bitte hin zwecks Fotografierung noch einmal wiederholt werden muss.

Die neue Schulleiterin ist etwas nervig, macht aber einen resoluten und tüchtigen Eindruck, vor allem trägt sie engagiert unsere Projekte mit, und sie kommt auch gut mit den beiden von uns (viel zu schlecht  -  siehe oben)  bezahlten Lehrerinnen Noemi und Sandra zurecht. Sandra macht ihre Ausbildungsarbeit in Weben gut, Noemi ist mit ganzem Herzen und großer Dankbarkeit dabei. Musizieren, Basteln, Tanzen, der Schulleiterin zur Hand gehen  -  das alles nach je 25 km Hin- und Rückfahrt von Pilar nach  MEDINA  -  über Erdstraßen, über die ich mich keinen Kilometer mit Mofa trauen würde, bei Hitze und dieses Jahr auch bei besonderer Kälte.

Die „Sopa Soó“ , der Eintopf mit Zähfleisch frei laufender Enten war es dennoch wert gegessen zu werden allein wegen der wunderbar gewürzten Maisgriesbällchen und der mit vielen Kräutern zubereiteten kräftigen Brühe!
Die Frauen und Mädchen fabrizieren immer gekonnter am Webstuhl, verkaufen wohl auch hin und wieder  -  an mich jedenfalls eine schöne Hängematte zum Solipreis von 100.000 G. Große Freude   -   Kohle für die Gemeinschaftskasse!
Die alte Weißhaarige hat wieder ihre ganze Pfiffigkeit und Bäuerinnen -schläue unter Beweis gestellt, alle staunen über ihre Schlagfertigkeit!

Santiago hat ausführlich die Arbeiten am Grundstück, den Bau und die Art des Werkstattfundamentes und die weiteren geplanten Maßnahmen erläutert, hat wieder auf Qualität geachtet und solide gebaut.
Zunächst ist an die Auslagerung der „Webstube“, ergänzt um einen zweiten Webstuhl, aus der Schule in die neue Werkstatt gedacht, Elektro und Holz und Metall kommen später. Ausbilder zu bekommen sei ausdrücklich kein Problem, aber Werkzeug und Maschinen umso mehr, dazu hatte Santiago den entsprechenden Container aus Deutschland offensichtlich schon eingeplant.

Ich reagiere verhalten, denke aber an einige Leute bei uns, die solch Unterfangen für realistisch hielten.....
Vielleicht wird es ja unser letzter Container.
Neben der Schule soll eine Art Einfahrt zur Werkstatt angelegt werden, und zwar mit Zitrusbäumen und anderen Nutzpflanzen, damit die Leute was davon haben. Die pflanzen sonst meist nur öde „Ziersträucher.
Abschied und Verabredung meines zweiten Besuches Ende September, dann will ich wirklich auch mit den älteren Schüler „Zauberpropeller“ basteln, für die ich das Material aus Deutschland mitgebracht habe, und ich möchte einmal genauer eine Schultag erleben.
Vermehrt hat sich die Schülerzahl noch nicht, es wird aber eine ganze Reihe von Familien als „Rückkehrer“ aus Argentinien erwartet, wo die Bedingungen für die Million der „papierlosen“ Paraguayer verschärft worden sind.
Die „Sternsinger“ haben eine kräftige Förderung des Projekts in Aussicht gestellt, die Entscheidung fällt in diesen Tagen.

Nach Ybabiyú, dem „Ort an der schwarzen Lagune“, der Nostalgie wegen

Und dann??? Endlich  -   nach  12 Jahren, eine Nostalgiefahrt nach Ibabiyú, unserer ersten Schule, der wir so lange die Treue gehalten haben. 12 Jahre ist es her.
Da sind jetzt 2 Lehrerinnen, die uns freundlich begrüßten. Die Kinder kamen mir auffallend aufgeweckt vor, die Fotos zeigen das glaube ich auch.
Sie sitzen immer noch an unseren Schultischen und  - stühlen mit den Stahlrohren.
Ein paar verrottende „Manos Unidas“, die seinerzeit mit Thomas Niermann gebastelten Freundschaftshände, liegen auf der Brunnenabdeckung, Künstler Thomas bekommt ein Bild davon.
Ich verteile dicke Smarties, und auf besonderen Wunsch der immer neugierigen Juliane spielen die Kinder „Tikichuela“ damit. Dieses populäre Kinderspiel verlangt geschicktes Auffangen der kleinen Kokosnüsschen einer paraguayischen Palmenart. Jetzt fliegen Smarties  -  manche allerdings nicht in die Luft, wie sie sollen, weil sie  an den Händen kleben bleiben....

„Unser“ Brunnen funktioniert noch, wir erinnern alte Hilfs- und so manche Fehlmaßnahmen, nur noch wenige Pferde stehen angebunden am Zaun und warten auf ihre jungen Reiter. Ob wohl manchmal noch fünf von ihnen aufsitzen wie damals?
Aber wir müssen uns verabschieden, der Rückweg ist lang, obwohl das langwierige Übersetzen über den Rio Neembucú mit der alten Fähre nicht mehr „nötig“ ist, weil
ein Damm gebaut wurde.

Schade. Auch die Leute vor Ort bedauern es.

Auf Schleichwegen am Rio Paraguay entlang

Dann die für alle anstrengende Tour mit Santiago, Ehefrau Bety, Sandra und uns beiden nach Alberdi: Fast 200 km Erdstraßen vom allerabgefeimtesten über das Gelände von genau zwei (2!) Estancias (dem Besitzer der Textilfabrik Pilar gehört die eine, einem der 6 Söhne eines ehemalige Ministers die andere, Durchfahrtgenehmigung von 6 bis 20 Uhr, Schlüssel am unteren Zweig des Paraísobaum am Gatter.)
Das muss man sich wieder mal rein tun: 200 km über zwei Estancias, die zwei Menschen gehören, da verliere ich jede Lust, über die Berechtigung von Privatbesitz zu reden und werde wieder zum Revoluzzer! Die Lautstärke unserer Diskussion im Auto war denn auch größer als der Krach des Dieselmotors.
Das schmuddelige Alberdi am Rio Paraguay, gegenüber dem argentinischen Formosa gelegen, ist ein „Mini – Ciudad del Este“, voller Schmuggelware der eher schrottigen Sorte, die von Verkäuferinnen mangels Kundenaufkommen ausgiebig mit dem Wedel abgestaubt werden. Ganz langsam. Damit es nicht so staubig wird. Und nicht zu anstrengend bei 35 Grad.
Santiago war geladen worden, an einer Untersuchung des Gesundheitsstaatssekretärs aus Asunción zu Anschuldigungen gegen den Hospitaldirektor von Alberdi als unabhängiger Experte auszusagen.
Wie immer bestanden gegen meine Teilnahme keine Einwendungen. Erstaunlich, wie geordnet und ernsthaft  -  beinahe „basisdemokratisch“ anmutend  -  das Ganze über 6 Stunden ablief. Ich nutzte die Anwesenheit des Gesundheitsmenschen, um beim Thema Medikamente über unsere miesen Erfahrungen zu berichten:
„Das Gesundheitsministerium ist aus unserer Sicht eine Geisel in Händen des paraguayischen Zolls!“ war die Krönung meiner glühenden Rede  -  wow!
Lakonische Zustimmung: Ja, so ist es, du erzählst uns nichts Neues......

Bei Dämmerung mit einer abenteuerlichen Fähre über den breiten Rio Tebicuarí, 4 Stunden Fahrt (drei kleine Personen vorn, vier hinten), mit gefühlten gebrochenen Knochen heil zurück in Pilar, zu müde essen zu gehen.

Zurück in die Hauptstadt

Rückfahrt nach Asunción mit den improvisierten Papieren, uns hilft der Sonntag und ein sintflutartiger Regen, die Polizisten bleiben brav unterm Dach und winken nur durch oder kommen erst gar nicht raus aus ihren Holzbuden.

In die Kinderstation vom Hospital Barrio Obrero geht man wie zu Freunden.
Ich komme gerade zur Visitenzeit, eine junge Ärztin führt die Gruppe an und referiert sehr gewissenhaft über die einzelnen „Fälle“, u. a. ein Indígena-Baby, das man so gerade noch dem Tode entrissen hat. Es stammt aus der Gruppe der Mbyá – Indígenas aus Ostparaguay, die wir später auf der Plaza Uruguaya in Asunción sehen, wo sie ihre schwarzen Zeltplanen aufgebaut und sich zum Demonstrieren eingerichtet haben, bis auch sie wieder „geräumt“ werden.  

Diese beiden Kinder sind mit auf der Plaza  -  erstaunlich fidel.
In der Kinderstation aber sind weitere ernsthaft erkrankte Kinder, aber alle aus dem Gröbsten raus, und das durch gute Behandlung auf der Station, jedenfalls fand ich die menschliche und professionelle Atmosphäre bei dieser Visite, die ich so noch nicht erlebt hatte, höchst positiv.

Unsere Medikamente sind da. Ja und, was heißt das schon?! Aber Dr. Baudo kennt die Ehefrau des Zolldirektors einer Zollnebenstelle, sie wird ihren Gatten die Medikamente vom Hauptzollamt anfordern lassen, unsere Leute vom Hospital holen sie dann mit einer Ambulanz ab  -  womöglich mit Blaulicht? Auf jeden Fall bin ich dieses Mal dabei!
Bis jetzt ist immer alles angekommen, wenn auch oft mit Tricksen.
Die Medikamente werden dringend gebraucht, es herrscht eine Grippewelle wie selten zuvor, mich hat es ja auch ziemlich übel gepackt, Dr. Cano hat mir Antibiotika „verordnet“  -  aus MEDEOR – Beständen wie schon vor einem Jahr.
So fängt ganz leise die Korruption an ....

In der Pension  Schrammen bin ich im „Überschwemmungszimmer“ untergebracht, das unserem Keller entspricht wegen der Gefahr des Volllaufens machen  -  was mir nun ein moralisches Dilemma bereitet:
Ich muss den Regen, zumindest den großen, fürchten  -  und gleichzeitig für das Land wünschen, denn er wird so dringend gebraucht wie selten....
Trotz Trockenheit Lapachobäume in rauen Mengen und überbordender rosafarbener Blütenpracht  -  jetzt endlich ein paar Farbtupfer in der Tristesse, seit heute auch in gelb, wie auf Verabredung.

In Ypacaraí, in der Nähe des gleichnamigen Sees, habe ich „Uli und Lisa“ besucht, ein rühriges deutsches Ehepaar, das sich sehr für die sie umgebenden paraguayischen Familien einsetzt, selber genügsam und vom eigenen Wirtschaften (u. a. Schweinezucht) lebt. Wir verabreden, einen Kontakt zu unseren campesinos von Regina Marecos zu vermitteln, die ihnen bei der Schaffung von ökologisch ausgerichteten Hausgärten helfen sollen.
Die Bitte kann ich gleich morgen beim „Fest des heimischen Saatguts“ vorbringen.

Viele Grüße an alle, die sie kennen gelernt haben, richten Martín Almada und Ehefrau Maria Stella aus, die erst wieder bei meinem leibhaftigen Erscheinen im Museo de la Memória anlässlich eines Theaters einer spanischen Gruppe realisieren, dass die gute „Utte“ nicht dabei ist, ihr gilt die herzliche Umarmung durch Martín und Maria Stella daher stellvertretend mit. Ebenso den anderen „deutschen Freunden“ und allen, für die Paraguay inzwischen ein mehr oder weniger fassbarer Begriff geworden ist.
Der Menschenrechtsaktivist hält große Stücke auf unsere Entwicklungs- und Solidaritätsarbeit, das tut natürlich gut, wenngleich er auch unsere Taten und Möglichkeiten gnadenlos überschätzt.......

Unsere Praktikantin Juliane begleitete ich an ihrem letzten Tag im „Cafa“  -  Centro de Asistencia a las Familias“. Herzlicher und rührender Abschied,  Juliane war sehr beliebt und hat sich offensichtlich sehr eingesetzt, die Räume im Cafa-Haus zeugen davon sehr beredt. Und wenn die schlichtesten aller Mütter die große Deutsche so herzlich umarmen und weinen, ist das wirklich schön mit zu erleben und zeigt wieder einmal, dass die Kohle für die Projekte zwar unerlässlich ist, der „menschliche Mehrwert“ aber allein aus der Berührung mit dem solidarischen Fremden und der Emotion heraus entsteht.
Mein Beitrag bestand aus Trébol-Kakao und dem Beamen von Julianes schöner Fotoauswahl für die Frauen und Kinder an eine „Leinwand“ aus zusammen gesetzten DIN-A 4- Blättern.
Auf dem Foto schneidet Juliane eine ihrer Fratzen, die so noch fratziger wirkt.
Sehr nette Spanierinnen und Spanier arbeiten auch dort unten, diese Españoles  sind wirklich toll, wie die da humanitär und kein bisschen elitär die Ärmel aufkrempeln und anpacken.
Pater Oliva und Mitarbeiterin Soraya kamen dazu und bedankten sich ausdrücklich für Julianes Arbeit, wenn es auch schon mal produktive Reibereien gegeben hatte, wenn der strukturierten Juliane manch allzu Improvisiertes gegen ihr Verständnis ging. Unser Verständnis? Juliane und ich haben jedenfalls viel über „Deutsch vs. Paraguayisch“, über interkulturelles Lernen diskutiert.  
An diesem Tag blieb das Gute und Versöhnliche, überwog die Dankbarkeit, die Kritik Julianes wurden sogar explizit auf der Habenseite vermerkt.

Noch ein bisschen Persönliches?

Mein Zimmer in der Pension ist ein halbes Büro, vieles haben wir im Laufe der Zeit dort untergestellt und müssen nicht immer alles aus Deutschland anschleppen.
Kalt ist es im Laufe des Tages geworden, ich lege noch eine Decke auf und warte auf die entspannende Wirkung meines Tees aus dicken Valeriana- und Passionsfruchtwurzeln ...----  

 

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

Hilfsverein Solidarität - Solidaridad

Fundación Vida Plena

Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

Unsere Info-Broschüre

Unsere Videos