Kaum haben wir paraguayischen Boden betreten, gibt es schon wieder ein Problem mit dem Zoll, das scheint eine Reisekonstante zu werden.
Dieses Mal hat man es aber ausnahmsweise nicht auf den sonst so begehrten Kofferinhalt abgesehen. Stattdessen bittet man mich zum Zollchef, der mich nach unseren „paraguayischen cédulas“ fragt, also nach den landesüblichen Personalausweisen. Was soll das ?
Ist das jetzt der neue Trick, um an Schmiergeld zu gelangen?
„Wir haben keine Cédulas, hier sind unsere deutschen Pässe, gerade haben wir sie bei der Einreise gezeigt.“
Doch der Typ gibt nicht auf. Es folgt ein Hin und Her, hartnäckiges Beharren, da dämmert es mir:
1973, also vor 35 Jahren, bekamen wir, Lehrer der Goetheschule, die paraguayischen Ausweise als Gratisgabe. Wir nahmen sie als Souvenir mit nach Hause, sie vergilben jetzt vermutlich in irgend einem alten Karton im Keller.
Genau das erkläre ich dem Beamten, von dem ich schon einen Teil des Verdachts nehme. Daraufhin dieser ungerührt:
„Sie hätten die Cédulas löschen lassen müssen ...“
Bevor er seinen „Preis“ nennt für ein großzügiges Hinwegsehen über unsere 35 Jahre alte Schuld, erscheint Antiterrorbeamter Elio, weitläufig mit unserem Freund Oscar Mongelós bekannt, der uns vor Jahren schon einmal gerettet hat.
Und auch dieses Mal rechnet er es sich zu Ruhm und Ehre an, uns aus der unangenehmen Lage zu befreien.
Sofort sehe ich sein Outfit und sein Bullengehabe, das mir zuvor durchaus unangenehm aufgefallen war, mit anderen Augen .....
Haben wir - am 13. August 2008, zwei Tage vor der Wahl des neuen Präsidenten Lugo mit dem Antikorruptionssiegel - noch einmal das „alte Paraguay“ erleben dürfen? Und ab 15. August wird alles besser?
Asunción - den Namen der paraguayischen Hauptstadt dürften ja inzwischen, dank eines Bischof-Präsidenten, mehr Menschen als je zuvor kennen. Die Stadt ist in Erregung wie vier Monate zuvor bei der Wahl am 20. April.
Doch in diesem Jahr geht es nicht wie sonst um sie selber, die Hauptstadt „Nuestra Senora de la Asunción“, wie sie der spanische Conquistador Juan de Salazar y Espinoza mit seiner Bande von Goldsuchern am 15. August 1537 getauft hatte. Das war just am Tage der „Aufnahme Mariä in den Himmel“ gewesen (woher die das wohl wussten?), daher der Name.
Nein - dieses Jahr muss die Stadt mit ihrem Gedenktag zugunsten eines Fernando Lugo zurück treten, eigentlich auch ein Conquistador, wenn er auch nur die Sympathien seiner Landsleute erobert hat.
Gäste aus aller Welt treffen ein, es gibt eine Unzahl kultureller Veranstaltungen, viele davon auf den Straßen der Stadt, so kommt Asunción doch noch zu seinem Recht.
Sogar einige der wenigen historischen Gebäude sind leidlich restauriert worden, und wie schon zu Stroessners Zeiten erstrahlen die vielfach amputierten Bordsteine der arg heruntergekommenen Avenidas in frischem Weiß.
Die Menschen freuen sich ganz nebenbei auch über ein langes Wochenende, schließlich ist der 15. ein Freitag.
Doch noch fehlen zwei Tage bis zum großen Ereignis.
Auch einige Persönlichkeiten Südamerikas sind schon früher angereist, zum Beispiel Eduardo Galeano, Ernesto Cardenal und Leonardo Boff. Sie zu sehen und zu erleben war wie eine Extragabe zum eigentlichen Ereignis. Das ging folgendermaßen:
Eduardo Galeano hatte am Abend des 13.August einen öffentlichen Auftritt mit Lesung in Asuncións neuem alten Theater, die Einladungen dazu waren verteilt, die Nachfrage war riesig gewesen. Wie also rein kommen?
Ich wusste nur, dass ich den vielgeliebten und vielgelesenen Altmeister der politischen und Solidaritätsliteratur unbedingt sehen und hören wollte. Wie unzählige andere „Drittewelt“ - Engagierte aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts war auch ich durch die Lektüre der Schriften des Uruguayers heftig bewegt worden, vor allem durch sein fast schon legendäres Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“.
(Ich erinnere mich, dass ich es nach unserer Rückkehr von unserem vierjährigen Paraguayaufenthalt Anfang der Siebziger las, und dass mir die Lektüre des Kapitels über Paraguay, wo er heimlich unterwegs gewesen war, wie ein „Gegenlesen“ zu dem vorkam, was ich an Eindrücken und Erlebnissen aus diesem Land mitgenommen hatte, auf jeden Fall aber als eine atemberaubende Ergänzung zu den eigenen Erfahrungen.)
Die ältere Dame vor mir in der langen Schlange vorm „Teatro Municipal de Asunción“ meinte auf meine scheinheilige Frage, ob es wohl noch eine Eintrittskarte gebe:
„Nein, aber Sie können mit mir gehen, als zukünftige Senatorin kann ich sicher eine Person mitnehmen .....“, und als sie meiner freudigen Erregung gewahr wurde, fügte sie mahnend hinzu: “Heute geht das noch mal so, ab dem 15. läuft dann alles korrekt.“
Sie hatte im Bildungsministerium gearbeietet, also ging es bis zum Eingang um das Bildungswesen - und zwar das deutsche, darüber wollte sie nämlich eine Menge wissen. Neben der großen Glastür stand übrigens, wie selbstverständlich und samt Frau, der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Ich war baff.
Ich schoss ein Foto und kam mir gleichzeitig dämlich vor, meine Gönnerin meinte aber nur: „Der hat schon eine Frau, vielleicht hat Lugo ja auch bald eine....“
Und schon waren wir drin, und ich fand sogar noch einen Platz in der zweiten Reihe.
Als Lugo seine warmherzige Begrüßungsrede für den „Freund Eduardo“ beendet hatte, musste auch er die Bühne freigeben, er mischte sich unter die Zuhörer, ganz normaler Teilnehmer.
Nur die drei schwarzbeanzugten Herren im Gang neben uns deuteten auf die Anwesenheit des Präsidenten hin.
Und wo ließ er sich nieder?
Richtig, genau hinter mir, da war noch ein Platz frei! Und wer´s nicht glaubt, kennt Paraguay nicht, „País de las coincidencias“, das Land der verrücktesten Zufällig – und Gleichzeitigkeiten. Da bin ich ein paar Stunden im Land und völlig überraschend auf Tuchfühlung mit dem Präsidenten. Der dennoch wie meilenweit entfernt war ...
Eduardo Galeano, so viel wurde sofort sichtbar, als er den Mund aufmachte, hat erschreckend schlechte Zähne, der sonst doch so Unerschrockene hat offensichtlich genau so viel Angst vorm Zahnarzt wie andere Sterbliche.
Was allerdings aus diesem Mund kam, waren scharfzüngige und - sinnige Beschreibungen des Zustandes dieser Welt im allgemeinen und der südamerikanischen Realität im besonderen - häufig eher ein Wechsel zwischen Bonmots und den berühmten Aphorismen a la Galeano. Das alles mit viel schwarzem Humor gewürzt, der vorzugsweise zu Lasten der Amerikaner (Nordamerikaner würde Galeano korrekterweise sagen) und des kapitalistischen Systems ging. Und er hat immer Recht, „so was von Recht!“ wollte ich schon ironisch schreiben, da mir bei ihm die Begriffe recht und selbstgerecht manchmal zu verschwimmen scheinen.
Bis auf die gesperrte Straße vorm Theater reichten die Zuhörermassen, in aller Eile hatte man dafür gesorgt, dass der Redner draußen auf eine Leinwand gebeamt wurde. Ich staunte ob solcher im Lande ungewohnter Perfektion.
Das „Museo de las Memorias “ ist wie eine zweite Wohnung für Martín Almada und seine Frau Maria Stella, allerdings mit sehr unterschiedlicher Bedeutung.
Ist das Museum für ihn die schaurig-vertraute Stätte einstmals dort erlittener Qualen, so stellt es für seine Frau in allererster Linie eine Arbeitsstätte dar, denn sie hat Ausstattung und Betreuung der ehemaligen Folterzentrale des Diktators Stroessner übernommen.
Gern zeigt Maria Stella mir die Alarmanlage, die wir mit Mitteln der Pro Paraguay Initiative finanziert haben.
Eigentlich erfolgte ihr Einbau zu spät, denn kurz zuvor war ein wichtiges Dokument entwendet worden, das in aller Deutlichkeit die Beteiligung, ja Anstiftung der damaligen US – Geheimdienste zur brutalen Verfolgung der Regimegegner im Rahmen der „Operation Condor“ belegt.
(Allen voran Henry Kissinger, sein Name steht für Menschenrechtsverletzungen schlimmsten Ausmaßes. Die in Paraguay übliche Straflosigkeit herrscht für Leute wie ihn auch in den Vereinigten Staaten.)
An diesem Abend mit Ernesto Cardenal, dem Gast aus Nicaragua, ist die Museumsleiterin allerdings nur für ein paar Worte des Dankes und für die Überreichung einer landestypischen Stickerei an den illustren Gast zuständig, die Führung durch die spärlich und immer noch recht schlicht eingerichteten Räume übernimmt Martín Almada, der freilich am besten schildern kann, was dort in den mittleren 70er Jahren geschah.
Selbst Cardenal, dem das Grauen der Somozadiktatur in Nicaragua wohl vertraut ist, zeigte sich zutiefst erschüttert, als Martín ihm die „Funktion“ der pileta erläuterte, jener im Museum ausgestellten Original-Wanne, die mit Fäkalien gefüllt wurde und in die das Folteropfer bis zum Ersticken getaucht wurde.
Später berichtet der 84jährige Ernesto Cardenal vor unserer
Runde - darunter viele Autoren Paraguays - unter anderem von seinen Erfahrungen mit der Kirche.
Wie ihn seinerzeit Papst Woytila gedemütigt hat, der ja wie Lugo vom Priester zum Politiker wurde, dagegen sind die Maßnahmen der römischen Kurie gegen unseren Bischof aus San Pedro fast schon harmlos zu nennen ....
Wegen dieses Kollegen hatte Cardenal die Reise nach Paraguay, seine erste in dieses Land, auf sich genommen, ihm gilt seine ungeteilte Solidarität - mit all dem moralischen Gewicht, das er weltweit genießt.
Nach Cardenals Vortrag und einigen braven Fragen ist Fototermin mit ihm - und es hebt ein Gedränge an, als sei er ein Popstar, jede und jeder will neben ihm aufs Bild, ich geb´s ja zu - ich wollte auch ....
Der alte Regierungspalast in Asunción ist mit vielen Scheinwerfern wirksam in Szene gesetzt, und auf dem Vorplatz, gleich neben der Straße, über die am nächsten Tag die Militärparade defilieren soll, werden Hunderte von Stühlen und eine riesige Bühne aufgebaut.
Im gegenüberliegenden Gebäude im alten Kolonialstil findet eine Podiumsdiskussion statt, die Bibliothek ist von Studenten bevölkert, und gleich soll eine Ausstellung eröffnet werden. So viel Kunst und Kultur auf einmal ist uns in den letzten Jahren noch nie hier begegnet.
Immerhin merken wir uns beim Rundgang durch das historische, sehr schön renovierte Gebäude, dass es eine kleine Bar mit Terrasse gibt.
Hier finden wir uns am Abend vor den großen Feierlichkeiten ein, nachdem wir uns durch Massen von Polizisten und Aufpassern geschoben hatten. Vorne weg immer Michael, unser Mitbewohner in der Pension, mit seinem Presseausweis.
Aus dem uns gegenüber liegenden Regierungspalast verabschieden sich gerade, eskortiert von der Ehrenwache, die angereisten lateinamerikanischen Regierungschefs vom bisher amtierenden Präsidenten.
Mit uns auf der Terrasse – kein Mensch hat uns kontrolliert – stehen Militärs mit der Waffe in der Hand und daneben die im Moment allgegenwärtigen unauffälligen Herren in den schwarzen Anzügen. Ich frage mich, was geschieht, wenn ich jetzt in meiner Handtasche nach dem Taschentuch suche, das ich dringend brauche.
Unter uns fahren die Limousinen vor. Personenschützer reißen Autotüren auf, springen auf fahrende Fahrzeuge, rennen halsbrecherisch einher neben den anfahrenden Autos der wichtigen Menschen, und das Ganze ist ein unterhaltsames Kasperle-Theater. Zwei Frauen neben mir drehen verzückt die Augen gen Himmel, als Kronprinz Felipe aus Spanien zu seinem Auto hechtet.
15000 Bauern mit ihren zunehmend selbstbewussten Führern sind in die Stadt gekommen.
In einem überdachten Stadion treffen und präsentieren sie sich. Vermutlich wird sich der alte Alfredo Stroessner, der schon Verschwörung witterte, wenn sich mehr als zwei Menschen versammelten, im Grabe umdrehen. 19 Jahre sind seit dem Niedergang der Diktatur vergangen. Die angeblichen Demokraten, die seitdem mit Billigung des großen amerikanischen Bruders das Land regierten und sich dabei die eigenen Taschen füllten, sollen nun durch den sich zur Theologie der Befreiung bekennenden Ex-Bischof Lugo abgelöst werden.
Auch „unsere“ Bauern aus Juan de Mena haben diesen Tag, an dem endlich der so oft beschworene Wechsel beginnen soll, herbei gesehnt und sind mit Tausenden anderen in die Stadt gekommen, versammeln sich in einer riesigen Halle. Alle werden sie hier die Nacht im Freien verbringen und morgen in die Innenstadt marschieren. Mit ihnen gekommen sind die Schüler der Landwirtschaftsschule.
Stolz präsentieren sie ihr Plakat von „Tekojoja“. Diese Bewegung, geprägt von unserem langjährigen Partner Sixto Pereira, hat maßgeblich zum Wahlsieg beigetragen. Sixto wird in der neuen Regierung Abgeordneter sein und stellvertretender Senatspräsident. Für ihn und auch für uns, die wir ihn seit mindestens 20 Jahren kennen, sind die neuen Rollen noch gewöhnungsbedürftig.
Ziemlich konspirativ waren damals unsere ersten Treffen und Fahrten in die abseits gelegenen Bauernkolonien. Sixto, wegen seiner selbstbewussten Forderung nach gerechter Landverteilung, war den Großgrundbesitzern ein Dorn im Auge und nicht selten in Lebensgefahr. Als Abgeordneter verzichtet er auf die Hälfte seiner Bezüge, die er den Bauernprojekten zur Verfügung stellt. Er wird ein unbequemer Politiker sein, verzichtet bewusst auf einen dunklen Anzug. Noch ist er überrascht, dass seine Feinde von gestern ihn heute hofieren. Ihn verbindet eine lange Bekanntschaft und inzwischen eine politische Freundschaft mit Fernando Lugo, den auch wir durch Sixto in der Vergangenheit näher kennen lernten.
Nicht zu fassen, dass diese Männer, mit denen wir im vergangenen Jahr tagelang in geliehenen Autos übers Land zum Wahlkampf fuhren, heute ihren Sieg feiern können. Unglaublich auch, dass wir, die wir ebenfalls den Wechsel herbeisehnten, weil wir fluchend mit ansehen mussten, dass Gelder, die für die Armen bestimmt waren, in den Taschen der herrschenden Clique verschwanden, diesen Wechsel heute mit erleben können. Gleichzeitig die Sorge, ob Lugo und seine Mannschaft aus alten und neuen Regierungsmitgliedern schaffen werden, was sie sich vornehmen?
Noch nie hat ein Präsident dieses Landes zum Amtsantritt eine solche Rede gehalten. Noch nie so klar seinen Willen ausgedrückt, sich für die Armen einzusetzen. Auch Lugo verzichtet auf sein Gehalt. Setzt damit ein Zeichen. Bleibt sich selbst treu. Kommt zur Amtseinführung im weißen Hemd mit Schärpe und trägt barfuß die Sandalen der Franziskaner- mönche. Das Volk ist hingerissen. Die Oberschicht verärgert.
Doch, sie werden ihn ernst nehmen müssen. Miese Tricks, künstliche Verknappung des Benzins, Intrigen scheinen bis jetzt nicht zu fruchten.
Hugo Chávez, der leider zum Personenkult neigende Präsident Venezuelas, der sich auch schon mal mit Angela Merkel anlegte, oder sich vom spanischen König sagen lassen musste, dass er besser den Mund hielte, schwingt sich zum persönlichen Beschützer der neuen Regierenden in Paraguay auf. Wir sehen das mit gemischten Gefühlen. Einerseits entbehren die großmäuligen Sprüche des Venezolaners, der auch gern die amerikanische Regierung angreift, keineswegs der Wahrheit, andererseits sind sie Wasser auf die Mühlen der paraguayischen Oberschicht und all derer, die die alte Kommunismus-Angst geschürt haben.
Keine Frage, es beginnen spannende Zeiten in Paraguay. Nach Jahren des fatalistischen Sich Fügens beginnen die ersten zaghaften politischen Diskussionen. Er wird es nicht leicht haben, der gute Fernando. Sein liberaler Vize, der nicht zu den „neuen Sozialisten des 21. Jahrhunderts“ gerechnet werden möchte, rückt schon mal vorsichtshalber ein wenig von ihm ab.