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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Von Belèm nach Asunción (“Baumwoll”insel, Jalapao, Katastrophe TAM, Asunción)
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
01.06.07     A+ | a-
Was für ein Spass! Was für nette, fröhliche Menschen! Welcher Kontrast war diese bukolische Küste im Vergleich zur quirligen Stadt Belèm!
Ich kam mir vor wie einst bei der Nordseeüberfahrt zur Lieblingsinsel Baltrum: Sonne, Wolken, Wind, Familien mit Kindern in Urlaubsstimmung, Geruch nach Sonnencreme, Lachen und ausgelassene Stimmung.

Auf der Insel Algodoal Dünen mit Holzstegen. Nur wuchsen hier statt Strandhafer die baumwollenen Pflanzen, und statt der Bollerwagen aus Holz wurde man hier von kleinen Pferdekutschen abgeholt. Sie standen aufgereiht wie an einer Perlenschnur oben an der Strandböschung und hoben sich malerisch nur gegen den blauen Himmel ab, als würden sie schweben. Kein Auto auf der ganzen Insel, nur Wasser, Sand, Natur und Ruhe. Mein Pferdetaxi brachte mich zu einer kleinen Pousada, kurz vorm Ziel hob der Gaul seinen Schweif, der Kutscher hatte,
wie in einer Vorahnung, schon den dafür bereit gestellten Eimer in der Hand, um ihn blitzschnell dem scheissenden Tier unter den Hintern zu halten, und ein paar dampfende, grün schimmernde Äpfel plumpsten satt in den Eimer.
Drei Tage Inselleben, wie im Traum, Vollmond an der „Praia da Princesa“, dem Strand der Prinzessin, an dem ich aber wie meistens allein war, die schwarze Lagune, umgeben von riesigen Cashnew-Bäumen, Forrómusik, Caipirinhas, Krabben, Fisch, Baden in lauem Wasser.
Was ist das?! Das ist ja richtiger Urlaub von der Faulenzersorte, muss auch mal sein, aber drei Tage sind genug ....

Jetzt bin ich wieder in Kempen, zum Ende der Reise zitiere ich aus dem letzten Brief nach Hause:

„Nachdem ich  genug Wasser, süss und salzig, gesehen hatte, bin ich per Bus schlappe 36 Stunden nach Palmas gefahren. Palmas?  Das ist die Hauptstadt des Bundesstaates Tocantins, am gleichnamigen Fluss gelegen, von der nicht nur wir bisher nichts wussten, sondern auch viele Brasilianer nicht, zu riesig ist das Land und zu viele Bundesstaaten gibt es. Wie Boa Vista ist auch Palmas eine ausgesprochen junge Stadt, erst 1990 gegründet, allenfalls interessant, weil sie nach ähnlichem Muster konzipiert ist wie weiland Brasilia, auf dem Reissbrett entworfen, mitten in eine fast menschenleere Gegend gepflanzt und mit bislang nur vereinzelt in der gigantischen Stadtlandschaft herum stehenden, spektakulären Bauten. Fussgänger sind in Palmas verloren, allein vom Busbahnhof ins Zentrum brauchte ich 15 Minuten  -  und nicht etwas zu Fuss, sondern mit dem Moto-Taxi! Das sind Motorräder mit jungen, aber sehr netten Fahrern, deren Dienste ich öfter in Anspruch nahm und die den alten alemão behutsam durch die Gegend gefahren haben. Sie sind viel preiswerter als Taxis und transportieren auch leichtes Gepäck.

Apropos alt und preiswert: Überall in Brasilien erhalten “Idosos”, also Ältere,  freien Eintritt oder andere Vergünstigungen, z. B. den Vortritt bei einer der häufigen Warteschlangen, bis hin zum Einsteigen in den Flieger. Ich habe gebraucht, um das zu realisieren, danach habe ich lustvoll Gebrauch davon gemacht, nach einem Schlüsselerlebnis: Auf der Hauptpost in Manaus stand ich bei 40 Grad in der Schlange vor dem Briefschalter, vor mir ca. 20 bis 25 Personen. Gleich daneben eine weitere Schlange, auch vor einem Briefschalter mit dem Zusatzschild “Idosos”.

“Ab welchem Alter ist man hier ´idoso´?”, kam mir plötzlich die Ahnung, dass auch ich gemeint sein könnte. “Ab sechzig”, war die Antwort. Also hinüber gewechselt zur Mini-Schlange. Kein Problem, nie hat jemand komisch geguckt oder gar einen Ausweis verlangt. Soll ich mich darüber freuen?

Das moderne und relativ reiche Palmas war also der absolute Kontrast zum armen und entvölkerten Norden, eine ganz andere Welt. Keine Holzhütte weit und breit, (noch?) keine Armenviertel, sondern ein eher steriles Ambiente, in dem eine überwiegend junge, wohlhabende städtische Bevölkerung wohnt. Und in erster Linie arbeitet, tagsüber. Und abends per Auto ins Shopping-Center oder in eins der neuzeitlichen Restaurants zum Essen fährt.
Hier hat es mich nicht lange gehalten, Palmas sollte auch nur Ausgangspunkt sein für die letzte Etappe, die Landschaft mit dem Namen Jalapão, mit ihren Sanddünen, Wasserfällen, der grossräumigen Hügellandschaft und den estancias, die ja in Brasilien fazendas heissen und von denen ich eine  besucht habe.
Noch einmal drei Tage Abenteuer, Hitze und Staub, Erdstrassen und verbeulte Pickups, Schlafen in der Hängematte, Reis mit schwarzen Bohnen und frittierten Bananen, als Entschädigung grandiose, einsame Natur. Und der schönste Sternenhimmel, an den ich mich erinnern kann.
Naja, danach habe ich dann doch auf weitere 2000 km Bus verzichtet und mir statt dessen, fast zum gleichen Preis, ein Flugticket der Linie TAM gekauft -  Palmas, Brasilia, São Paulo, Asunción.
Es war ein gutes Gefühl, das Ticket mit letztem Zielort Asunción in Händen zu heben, das muss ich sagen, und ich war am Ende auch froh und dankbar, alles heil überstanden zu haben.
So sauber wie lange nicht mehr und wie ein richtiger ordentlicher Reisender befand ich mich schliesslich am Flughafen von Palmas  und in Gedanken schon so gut wie in Paraguay, war dann aber schnell wieder zurück im Hotel in der Stadt!

Die TAM hatte einen Tag zuvor den schwersten Luftverkehrsunfall in Brasiliens Geschichte gehabt, mit über 200 Toten. Eine Maschine war im Flughafen Congonhas in São Paulo über die Landebahn hinaus geraten und in ein Treibstoffdepot gerast, es gab eine Riesenexplosion. Danach herrschte natürlich  komplettes Chaos, also haben sie mich lieber 1 Tag später neu antreten lassen statt mich irgendwo unterwegs stranden zu lassen .....
Auch am Tag darauf war die Fliegerei noch abenteuerlich genug, aber als ich in Brasilia neben einer Studentin sass, nach Stunden des Wartens, beide im Ungewissen, wie es weiter gehen sollte und sauer auf die TAM, sagte sie das einzig Richtige: Wir hätten eigentlich keinen Grund und vielleicht auch kein Recht, unser kleines Ungemach so wichtig zu nehmen angesichts dieser riesigen Tragödie mit den vielen  Toten und den mehr Trauernden. Das war gut und richtig  - und half!
Schon seltsam, kurze Zeit später mit derselben Linie TAM zu fliegen, bei der alle so taten als sei nichts geschehen: Die Piloten, manche feixend, wie immer am Eingang zum Flieger postiert, wie bei der TAM üblich;  die roten Teppiche, wie immer, fein säuberlich ausgelegt  -  und die Aufschrift am Flugzeug "TAM - die Linie, die stolz darauf ist, brasilianisch zu sein" war genau so gross und protzig wie immer. Am beklemmendsten war es aber, spät in der Nacht in Congonhas relativ nah an den noch rauchenden Trümmern vorbei zu rollen, ein wenig kam ich mir wie ein Überlebender vor, so theatralisch sich das auch anhören mag.

In Asunción kamen wir nachts um drei Uhr an, und hier ist mir jetzt, als sei ich erst gestern noch da gewesen. Wie es sich fügt, wartet ein volles Programm auf mich, genau richtig, denn mein protestantischer Sender meldet zuverlässig, dass nun, nach so viel Nichtstun, wieder gearbeitet werden muss ....“

So weit aus meinem letzten Brief. In der Tat hatte ich in den knapp 2 Wochen bis zur Heimreise keine Langeweile. Das gewohnte Zimmer in der „Deutschen Pension“ wartete auf mich, die dort gelagerte Reservekleidung erwies sich als äusserst nützlich, vor allem die warmen Sachen, denn es war z. T. winterlich kalt in Paraguay!
Es war wie erhofft, ein Ankommen an einem Ort, an dem man sich Zuhause fühlt, wo Freunde, Bekannte und Partner einen erwarten. Begegnungen, Besuche, reden, ausgehen, feiern, gemeinsam arbeiten  -  ein Eintauchen in ein (fast) normales Leben. Selten hat mich diese Erfahrung so beglückt.
Auch mein Fahrrad hatte treu auf mich gewartet. Ich habe es geputzt und geölt, um dann mit Wonne lange Runden im Botanischen Garten zu drehen, mit Temperaturen, bei denen ich nur von der Anstrengung schwitzte.
Asunción, hektisch, laut, stinkend und vergammelt wie immer  -  und doch, hatten die jungen Reisenden am Amazonas nicht Recht, die schon in Asunción waren und die mein negatives Urteil über diese Stadt so gar nicht teilen wollten!? Es hatte ihnen gut gefallen in Asunción, und seine Bewohner kamen auch sehr gut weg. Recht hatten sie, trotz allem!
Was ich politisch bei diesem Besuch erlebte, steht woanders, auch zu den Projekten der Paraguay Initiative an anderer Stelle

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

Hilfsverein Solidarität - Solidaridad

Fundación Vida Plena

Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

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